Doppelresidenz kann angeordnet werden, wenn sie im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl am Besten entspricht


AG Forchheim
Aktenzeichen: 3 F 650/19 vom 06.03.2020
Veröffentlicht in BeckRS 2020, 28449

 

Tenor / Inhalt der Entscheidung

Die 3 Kinder (5,7,9 Jahre zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung) lebten nach der Trennung überwiegend beim Vater. 2017 gab es eine Umgangsregelung alle 14 Tage am Wochenende und häufig unter der Woche nach der Schule bis zum Abend ohne Übernachtung sowie hälftige Ferienteilung. Die Eltern sollten weiterführende Beratungsgespräche führen.

Die Mutter strebte im vorliegenden Verfahren die Abänderung dieser Regelung an, die Umgangsregelung werde aus ihrer Sicht der veränderten Lebenssituation der Kinder nicht mehr gerecht. In den Beratungen sei die Doppelresidenz empfohlen worden. Die Wohnsituation hätte sich verändert, alle Kinder hätten jetzt auch bei der Mutter eigene Zimmer. Noch zusammenlebend hätte sie den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernommen, mit der Doppelresidenz würde den Kindern gezeigt, dass die Betreuung und Erziehung durch beide Eltern gleichwertig wäre. Aktuell hätten die Kinder monatlich 16 Wechsel zwischen den Haushalten zu bewältigen.

Der Vater würde grundsätzlich die Betreuung durch die Mutter befürworten, lehne die Doppelresidenz aber ab. Er wolle sich auch nicht probehalber darauf einlassen. Er würde die Kinder auch gegen die Mutter beeinflussen. Aus Sicht der Mutter seien die Rahmenbedingungen für eine Doppelresidenz gegeben (wird weiter ausgeführt).

Der Vater erklärte, er hätte in den Beratungen einer Ausweitung der Betreuungszeiten zugestimmt, allerdings nur im Verhältnis von 4,5 : 9,5 Tagen. Aus seiner Sicht würde ein erzwungenes Wechselmodell dazu beitragen, dass sich die Kinder nirgendwo mehr zu Hause fühlen könnten. Das Gefühl, ein zu Hause zu haben, würde zerstört werden. Außerdem würde die Mutter versuchen, ihm die Kinder zu entfremden. Auch hätten sie unterschiedliche Vorstellungen von der Kinderbetreuung, die Mutter hätte Defizite in der Hausaufgabenbetreuung. Aus seiner Sicht sei das Verhältnis zwischen Mutter und Kindern aufgrund des Verhaltens der Mutter belastet.

Der Vater führte aus seiner Sicht umfangreiche Gründe an, weshalb eine Doppelresidenz nicht angeordnet werden könne, sei es, dass der Abänderungsmaßstab des §1696 nicht erreicht sei oder der aus seiner Sicht bestehende elterliche Konflikt (umfangreich im Beschluss ausgeführt). Außerdem habe er Zweifel an der Neutralität von Jugendamt und Verfahrensbeistand aufgrund deren Ausführungen.

Im vorherigen Sorgerechtsverfahren wurde 2017 ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches ergab, dass die Kinder mehr Kontakt zur Mutter wünschten, eine Doppelresidenz hätte zum damaligen Zeitpunkt aber Anpassungsleistungen erfordert, welche ein gewisses Risiko dargestellt hätten, auch wenn es positive Aspekte für die Doppelresidenz gegeben habe.

Dazu gehören die Nähe der elterlichen Wohnhäuser, der Wunsch der Kinder nach engerem Kontakt zur Mutter und die Tatsache, dass es den Eltern derzeit weitgehend gelinge, zum Wohle der Kinder zusammenzuarbeiten. Andererseits sei die klare Ablehnung des Vaters problematisch. Zudem seien die Kinder zu dieser Zeit angespannt und belastet gewesen. Gleichzeitig führte der Sachverständige jedoch aus, dass die Gefahr, dass die Kinder dies im Kontext der ohnehin zu bewältigenden emotionalen Belastung überfordere, als eher gering eingeschätzt werde, es jedoch ein Restrisiko verbleibe. Die Durchführung eines Wechselmodells erhöhe das Ausmaß notwendiger Absprachen zwischen den Eltern im Vergleich zur vorherigen Situation, womit ein höheres Risiko für das Wiederaufflammen von Konflikten einhergehe. Zudem sei C noch zu jung für wöchentliche Wechsel und das Wechselmodell daher zu diesem Zeitpunkt nicht zu befürworten. Die wesentlichen Erwägungen des Sachverständigen wurden auch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Seitens der Mutter wurde erklärt, dass sich die Situation mittlerweile erheblich geändert hätte. Die Kinder wären deutlich älter, die Beratungen hätten zu einer Verbesserung der Kooperationsfähigkeit der Eltern geführt, die ehemals einschränkenden Bedingungen des Sachverständigen seien somit nicht mehr gegeben.

Die Verfahrensbeiständin empfahl eine Doppelresidenz im wöchentlichen Wechsel, auch zwei der Kinder befürworteten dies. Das Alter des jüngsten Kindes sei nun angemessen für eine Umsetzung der Doppelresidenz. Die Rahmenbedingungen seien ideal. Die bisherigen häufigen Wechsel führten dazu, dass die Kinder zur Ruhe kommen würden.

Auch das Jugendamt sprach sich nach Hausbesuchen bei beiden Eltern für die Doppelresidenz aus, beide Eltern würden gut mit den Kindern umgehen und diese gut betreuen. Erwähnt wurde, dass der Vater seit der Trennung ein Tagebuch führe, in dem er notiere, was die Mutter aus seiner Sicht falsch mache.

Das Jugendamt berichtete aus den Gesprächen mit Kind A und B auch, dass der Vater sie gegen die Mutter beeinflusse und insbesondere A im Loyalitätskonflikt stecke. Die Mutter wurde beim Jugendamt seit Jahren als Kooperativ wahrgenommen, der Vater nehme Informationen über die Mutter ungefiltert auf, anstatt das Gespräch mit der Mutter zu suchen.

Er verliere die Bedürfnisse der Kinder aus den Augen, sobald es um die Kindesmutter gehe. Er sehe sie insbesondere in einem einseitigen, negativen Licht. Die Konflikte und Verletzungen auf der gescheiterten Paarebene übertrage er auf die Elternebene, wodurch die Kinder belastet würden. Es falle ihm schwer, die notwendige Bindungstoleranz aufzubringen, was unter anderem daran deutlich werde, dass er den Umgang der Kinder zur Kindesmutter am liebsten verkürzen möchte. Aktuell gebe es viele Wechsel zwischen den elterlichen Haushalten für die Kinder. Durch die Wechsel und den Elternkonflikt, den die Kinder unweigerlich mitbekamen, gelangten die Kinder mehrmals pro Woche in Situationen, die sie aufgrund ihres Loyalitätskonflikt als belastend erlebten.

Durch die Einführung eines wöchentlichen Wechselmodells könnten die Kinder zur Ruhe kommen, da es dadurch weniger Wechsel gäbe. Die räumliche Nähe, die Voraussetzung für ein Wechselmodell ist, sei gegeben. Alle Kinder seien mittlerweile auch alt genug für die Durchführung eines wöchentlichen Wechselmodells. Die Beziehung zur Mutter auszuweiten, sei insbesondere im Interesse des Kindeswohls. Die Befürchtungen des Kindsvaters, die Kindesmutter könne mit der Betreuung der Kinder überfordert sein, konnten durch die bisherigen Erkenntnisse nicht bestätigt werden. Langzeitstudien, die zum Wechselmodell durchgeführt wurden, zeigten, dass die Durchführung des Wechselmodells auch bei nicht gut kooperierenden Eltern gelingen könne. Es sei nachgewiesen worden, dass Eltern, die ihre Kinder im Wechselmodell betreuen, bessere Kooperationsformen entwickeln als Eltern, die das Residenzmodell praktizieren. Das Betreuungsmodell sei für die Kooperations- und Kommunikationserfordernisse nicht relevant. Auch im Residenzmodell müssten Eltern miteinander kommunizieren, beim Wechselmodell erforderte es ihrer Ansicht nach keine vermehrte oder bessere Kommunikation zwischen den Eltern. Darüber hinaus dürften Kommunikations- und Kooperationsverweigerung eines Elternteils kein Grund dafür sein, dass die Kinder eine Einschränkung in der Bindung zum anderen Elternteil hinnehmen müssten. Mehr Zeit mit einem Elternteil erhöhe die Eltern-Kind-Bindung, wodurch die Belastung durch elterliche Konflikte kompensiert werde. Die Wechsel sollten laut Jugendamt zunächst von Montag nach der Schule bis Montag vor der Schule stattfinden, um Aufeinandertreffen der Eltern vor den Kindern noch gering zu halten. Zudem werde empfohlen, ein Umgangsbuch einzuführen, welches bei den Übergaben mit den Kindern ausgetauscht werde und über das vorerst kommuniziert werden sollte.

Das Amtsgericht gab dem Antrag der Mutter, die Doppelresidenz anzuordnen, statt.

Einleitend ging das Gericht sehr umfangreich auf die allgemeine wissenschaftliche und juristische Situation rund um die Doppelresidenz und deren Chancen und Limitierungen ein.

Anschließend wurde ausführlich auf die Entschließung 2079 (2015) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eingegangen.

„Rechtlich ist vorab anzumerken, dass die parlamentarische Versammlung des Europarates am 2.10.2015 einstimmig in der Resolution 2079/2015 alle Mitgliedstaaten dazu aufgefordert hat, die Doppelresidenz (Wechselmodell), also die gleichmäßige Betreuung von Trennungskindern durch beide Elternteile, als bevorzugt anzunehmendes Modell im Gesetz zu verankern. Die Parlamentarische Versammlung wolle konsequent die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz und im Privatbereich fördern. Auch innerhalb der Familie müsse bereits ab der Geburt des Kindes die Gleichstellung von Eltern gewährleistet und gefördert werden. Die Beteiligung beider Eltern in ihrer Erziehung des Kindes sei von Vorteil für dessen Entwicklung und die Rolle der Väter gegenüber ihren Kindern, ebenso kleinen Kindern, müsse besser anerkannt und angemessener bewertet werden. Zur Realisierung dieses Ziels seien die Mitgliedsstaaten im Hinblick auf Art. 8 EMRK zu verpflichten, in ihre Gesetze den Grundsatz der Doppelresidenz (Wechselmodell) nach einer Trennung einzuführen und Ausnahmen ausschließlich auf Fälle von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung oder häuslicher Gewalt zu beschränken (vgl. Staudinger/Dürbeck (2019) BGB § 1684, Rn. 259 m.w.N.). Eine Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber ist bis dato jedoch noch nicht erfolgt, auch weil Bedenken bestehen, dass hierbei eine Orientierung zu sehr an den Eltern und nicht am Kindeswohl erfolgt und auch der Einzelfall aus dem Blickfeld gerät.

Eine gesetzliche Vorgabe, in welchem Umfang ein Umgang maximal angeordnet werden darf bzw. minimal soll, enthält das Gesetz damit (noch) nicht. Grundsätzlich kann das Gericht die Umgangszeiten beider Eltern demnach - wie vorliegend von der Antragstellerin beantragt - bis hin zu einer hälftigen Betreuung der Kinder regeln (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 01. März 2019 - 7 UF 226/18 Rn. 34, juris, unter Verweis auf BGH Fan RZ 2017, 532).“

Es wurden weiterhin die vom BGH aufgestellten Kriterien zitiert. Die Doppelresidenz sei daher anzuordnen, „wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht“. Zur Abänderung vorheriger Entscheidungen gem. §1696 BGB wurde festgehalten: „Die hierfür vorliegenden Gründe müssen von solcher Bedeutung sein, dass die mit der Veränderung einer bestehenden Umgangsregelung verbundenen Vor- bzw Nachteile für das Kindeswohl das Bedürfnis der Kontinuität der bestehenden Regelung deutlich überwiegen (vgl. Staudinger/Dürbeck (2019) BGB § 1684, Rn. 557). Dem Gericht kommt dabei ein Beurteilungsspielraum zu. Bei der Abänderung einer Umgangsregelung wie hier sind die Anforderungen für eine Abänderung allerdings niedriger als bei der Abänderung einer Sorgeentscheidung (vgl. MüKoBGB/Lugani, 8. Aufl. 2020, BGB § 1696 Rn. 24).“

Die Änderung in der Rechtsprechung seit der BGH-Entscheidung 2017 stelle alleine jedoch keinen Abänderungsgrund dar. Das Gericht hielt unter Berücksichtigung dieser umfangreichen rechtlichen und wissenschaftlichen Erörterung eine Abänderung der Umgangsregelung und die Anordnung der Doppelresidenz im konkreten Fall für geboten.

Sehr umfangreich wurde die Bedeutung des Kindeswillens und dessen Limitierungen durch Fremdeinflüsse dargelegt. „Der subjektiv geäußerte Kindeswillen muss sich zudem stets am objektiven Kindeswohl messen lassen (KG v. 1.7.2005 - 13 UF 199/04, Fan RZ 2005, 1768). Dem Gericht obliegt daher die Prüfung, ob der geäußerte Wille stabil ist und objektiv mit dem Kindeswohl in Einklang steht (BVerfG v. 22.09.2014 - 1 BvR 2102/14, Fan RZ 2015, 210 = Fan RB 2015, 248).“

Festgestellt wurde, dass A sich in der gerichtlichen Anhörung gegen die Doppelresidenz ausgesprochen habe, sich aber mehr Zeit bei der Mutter und auch Übernachtungen unter der Woche wünsche. B war differenzierter und mit einer Ausweitung des Umgangs einverstanden, bei C war aufgrund des Alters kein klarer Wille feststellbar. Es sei daher verwunderlich, dass der Vater weiterhin äußere, er könne sich nicht vorstellen, dass die Kinder den Wunsch äußern würden, auch von der Mutter zur Schule gebracht werden zu wollen.

Diese Sicht stand auch im völligen Widerspruch zu den Aussagen der Kinder gegenüber dem Jugendamt. Dort wurde die Ablehnung der Doppelresidenz klar auf den vom Vater geschürten Loyalitätskonflikt zurückgeführt, der Vater habe aber bisher kein Problembewusstsein gezeigt für die Belastungen, die er durch sein Verhalten bei der Tochter hervorruft. Der durch den Vater geschürte Loyalitätskonflikt sei bei allen drei Kindern erkennbar. Die Verfahrensbeiständin schloss sich aufgrund ihrer eigenen Beobachtungen der Einschätzung des Jugendamts an.

Der Kindeswille sei nach Einschätzung des Gerichts nicht völlig konstant, aufgrund der Äußerungen der Kinder lasse sich jedoch ableiten, dass die Doppelresidenz ihrem tatsächlichen Willen am ehesten entspreche.

Verwunderlich sei, dass der Anwalt des Vaters die Stellungnahme des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes als nicht neutral befand und diese damit für das Gericht für unbeachtlich hielt, gleichzeitig aber die Stellungnahme der Lebensgefährtin des Vaters als taugliches Beweismittel ansehe, wobei das Gericht diese (nachvollziehbar) als völlig einseitig einschätzte.

Beide Eltern hätten eine enge und tragfähige Bindung zu ihren Kindern und umgekehrt. Beide Eltern seien uneingeschränkt erziehungsfähig. Es gebe keine gravierenden Unterschiede im Erziehungsstil, die einer Anordnung der Doppelresidenz entgegenstehen würden.

Das Gericht geht auch davon aus, dass die Kinder bei beiden Eltern ausreichend gefördert werden, auch wenn der Vater dies nicht so sehe. Soweit der Vater der Mutter vorwerfe, diese würde die Kinder nur an Einrichtungen und Dritte abschieben, so habe die Mutter dies überzeugend entkräftet und das Gericht festgehalten dass die Kinder beim Vater aufgrund dessen Berufstätigkeit länger fremdbetreut werden als bei der Mutter. Im Übrigen sei auch ein guter Kontakt zu Großeltern und Freunden für Kinder förderlich.

Das Gericht führte auch aus, dass unter der bisher fehlenden Quantität der Betreuungszeit der Mutter auch die Qualität der gemeinsamen Zeit gelitten habe, insbesondere seit dem Schuleintritt der beiden älteren Töchter, was auch an den häufigen Wechseln liege, bei denen die Kinder nie richtig ankommen könnten.

Die Anzahl der Wechsel könne durch die Doppelresidenz von 16 (oder 13) auf vier bis fünf im Monat reduziert werden, wodurch die Kinder zur Ruhe kommen können.

Das Thema Hausaufgaben würde sich ebenfalls vereinfachen, da auch die Mutter in der Doppelresidenz mehr Zeit für die Hausaufgaben der Kinder hätte, wobei die Mutter die Vorwürfe des Vaters, sie würde die Hausaufgaben mit den Kindern nicht ordnungsgemäß machen, nicht nachvollziehen konnte, da die Hausaufgaben nach ihren Angaben in der Mittagsbetreuung der Schule gemacht werden würden.

Auch unter Kontinuitätsgesichtspunkten spreche alles für die Doppelresidenz, da den Kindern unverändert ihr soziales Umfeld erhalten bleibe und sie auch bisher schon von beiden Eltern betreut wurden.

Die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern bestehe trotz Elternkonflikt.

In Bezug auf die Bindungstoleranz der Eltern stellt das Gericht fest, dass der Vater in Bezug auf die Mutter vor allem defizitorientiert ist. Es wurde ihm aber zugestanden, dass er einem umfangreicheren Umgang unterhalb der Schwelle der Doppelresidenz bereits zugestimmt hatte und somit die Bindungen der Kinder zur Mutter nicht insgesamt infrage stellen wolle.

Kritisch in Bezug auf die Doppelresidenz sei, dass die Eltern in Erziehungsfragen keine gemeinsamen Lösungen erarbeiten könnten. Insoweit fehle es an einer Basis für die Doppelresidenz. Trotzdem könne die Doppelresidenz im Zusammenwirken mit den weiteren Punkten angeordnet werden. Die Argumentation des Vaters, dass bereits das vorliegende Verfahren zeige, dass kein Konsens zwischen den Eltern hergestellt werden könne und die Doppelresidenz daher ausscheide, verfange nicht, auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH, „da andernfalls der Elternwille ohne Rücksicht auf die zugrundeliegende jeweilige Motivation des Elternteils in sachwidriger Weise über das Kindeswohl gestellt würde“. Im Übrigen seien die festgestellten Unterschiede zwischen den Eltern nicht gravierend und die Eltern hätten in der Vergangenheit seit der Trennung mehrfach gezeigt, dass sie bereit und in der Lage sind, auch Kompromisse einzugehen, notfalls unter Vermittlung Dritter, was auch im Gutachten 2017 bereits bestätigt wurde.

In der Gesamtabwägung der Umstände und der Vor- und Nachteile der Betreuungsmodelle lägen die Voraussetzungen für die Anordnung der Doppelresidenz vor. Die Eltern und deren neue Partner könnten die Betreuung der Kinder gewährleisten. Die Haushalte liegen fußläufig voneinander entfernt und die Eltern sind wirtschaftlich Leistungsfähig. Finanzielle oder Sachfremde Interessen an der Anordnung der Doppelresidenz wurden nicht erkannt, entgegen der Vorwürfe der Lebensgefährtin des Vaters. Das Gericht stellte klar, dass der Vater ebenso ein finanzielles Interesse an der Ablehnung der Doppelresidenz haben könne.

Die Kinder hätten starke Bindungen an beide Elternteile und hätten das ideale Alter zur Durchführung der Doppelresidenz (wird weiter ausgeführt). Das Gericht sei überzeugt, dass die Qualität der gemeinsamen Zeit der Kinder mit der Mutter durch das Mehr an Zeit steige. Auch der Kindeswillen spreche eher für die Doppelresidenz.

Weiter wird ausgeführt:

„Das Gericht verkennt nicht, dass mit dem Wechselmodell Gefahren einhergehen, insb. mögliche Loyalitäts- und Ambivalenzkonflikte der Kinder. Nach den o. g. Ausführungen bestehen diese aber schon in einem erheblichen Maße, würden also nicht erst durch das Wechselmodell entstehen. Zudem hat das Gericht die Hoffnung aber auch Erwartung an die Beteiligten, dass sie sich mit dem geänderten Modell gut arrangieren und es den Kindern durch die Stärkung der Bindung zur Mutter auch möglich sein wird, ihre tatsächlichen Wünsche dem Antragsgegner zu offenbaren und nicht nur angeben, was dieser ihrer Ansicht nach hören möchte.“

Auch den Abänderungsmaßstab des §1696 BGB sah das Gericht als erfüllt an, zumal dieser gegenüber Sorgerechtsentscheidungen niedriger sei. Die Kinder waren seinerzeit deutlich jünger, allein durch die Altersveränderung hätte sich eine nun andere Grundlage ergeben.

Das Gericht betonte, dass es keine Entscheidung gegen den Vater sei, der bisher viel zur Betreuung seiner Kinder geleistet habe. Es sei vielmehr eine Entscheidung für die Kinder. Das Gericht habe daher die Hoffnung, dass der Vater „zum Wohl der Kinder auch bis zu einer etwaigen Rechtskraft des Beschlusses diesen vorläufig akzeptiert“.

Abschließend führte das Gericht noch aus, weshalb im vorliegenden Fall von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen werden konnte. Das Gericht sah sich hier in der Lage, auf Basis der früheren Informationen, aktuellen Stellungnahmen von Jugendamt und Verfahrensbeistand und eigener Einschätzungen eine Neubewertung anhand der nun veränderten Sachverhaltsumstände vorzunehmen. Zudem habe auch kein Beteiligter die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt oder beantragt habe. Das Gericht habe über ausreichende Grundlagen zur Beurteilung des Sachverhaltes verfügt. Insofern wurde auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes von der Einholung eines langwierigen Sachverständigengutachtens abgesehen.

Abgelehnt wurde der Antrag der Mutter auf Abänderung der Ferienregelung, da hier offensichtlich durch bereits erfolgte Absprachen zwischen den Eltern kein Regelungsbedarf mehr bestehe.

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Die Entscheidung zeigt, wie sorgfältig sich auch ein Amtsgericht sich mit der Anordnung einer Umgangsregelung (nichts Anderes ist die Doppelresidenz) auseinandersetzen kann. So wurde in der Entscheidung nach und nach ein Vorurteil gegen die Doppelresidenz nach dem anderen ausgeräumt, auf den vorliegenden Fall angewandt und sich sehr umfangreich mit der Rechtsprechung zur Doppelresidenz und deren Argumentationen auseinandergesetzt.

Als Herausragend dürfte die Berücksichtigung der Resolution 2079(2015) der parlamentarischen Versammlung des Europarates von 2015 sein, welche die Doppelresidenz als Leitbild für alle 47 Mitgliedsstaaten empfiehlt und damit auch einen berücksichtigungsfähigen Anhaltspunkt für die Beurteilung im familiengerichtlichen Verfahren bietet, auch wenn diese Resolution keine unmittelbare nationale Rechtskraft entfaltet. Das Amtsgericht weist hier auch darauf hin, dass der Gesetzgeber die Resolution bisher noch nicht in nationales Recht umgesetzt hat und führt dazu auch Bedenken des Gesetzgebers an, dass dadurch der Einzelfall aus dem Blick geraten könnte. Dem tritt das Gericht mit seiner umfangreichen, einzelfallbezogenen Entscheidung entgegen.

Mehr als offensichtlich war, dass das bisher von den Eltern praktizierte Betreuungsmodell enorm viele Wechsel (bis zu 16) pro Monat hatte – die Doppelresidenz konnte hier mit rund 4 Wechseln pro Monat für eine deutliche Beruhigung sorgen. Ein gutes Beispiel dafür, weshalb wir von Doppelresidenz und nicht vom „Wechselmodell“ sprechen.

Welche Vorurteile und teils auch Unwissenheit zur Doppelresidenz besteht zeigen die Ausführungen des Sachverständigen aus 2017. Dort sah er durchaus positive Aspekte der Doppelresidenz, sprach sich jedoch dagegen aus, da das jüngste Kind noch zu klein für einen wöchentlichen Wechsel gewesen wäre. Die Option, dass auch eine Doppelresidenz im Format 2:2:3 oder ähnlich hätte gelebt werden können, wurde anscheinend nicht in Betracht gezogen, sondern stattdessen ein sehr anspruchsvolles Residenzmodell gelebt. Auch Sachverständige haben also nicht immer die besten Lösungsoptionen zur Hand. Möglicherweise wurden hier bereits 2017 Chancen vergeben, die Situation frühzeitig zu stabilisieren.

Das Jugendamt hingegen hat sich in diesem Fall sehr genau mit den Rahmenbedingungen auseinandergesetzt und sehr präzise und zielgerichtete Vorschläge unterbreitet, wie das Betreuungsmodell gelebt und dabei die Belastung für Kinder und Eltern reduziert werden kann. Auch die Gegebenheiten in Bezug auf die Doppelresidenz und deren Vor- und Nachteile wurden sehr differenziert dargestellt.

Auf menschlicher Ebene war von beiden Eltern die Sorge vor einer Entfremdung von ihren Kindern herauszulesen. Eine nachvollziehbare Emotion, welche aber häufig negative Auswirkungen auf die Kinder hat und diese in einen Loyalitätskonflikt stürzt. Nach den Ausführungen im Beschluss hat die Mutter es in diesem Fall besser vermocht, ihre eigenen Emotionen zum Wohle der Kinder differenziert zu betrachten, was dem Vater bis zur Entscheidung wohl nicht gelungen ist. Hier sollten Eltern besser unterstützt werden, denn dann wäre schon in vielen Fällen etwas Positives erreicht.

Auch stellt sich die Frage, welche Motivation der Vater gehabt haben sollte, sein Verhältnis zur Mutter zu verbessern oder zu einer Einigung zu finden, wenn er davon überzeugt gewesen zu sein schien, dass er durch Eskalation die Doppelresidenz hätte verhindern können. Sein Tagebuch über die aus seiner Sicht Verfehlungen der Mutter stellte wohl quasi die Blaupause seiner „Anklageschrift“ dar, ohne dass er selbst die Notwendigkeit im Sinne seiner Kinder erkannte, sich für ein positives Elternverhältnis einzusetzen. Gleiches gilt für die zahlreichen Widersprüchlichen Vorwürfe, die er gegenüber der Mutter erhob und die in anderen Gerichten nach dem Motto „im Zweifel für den überwiegend betreuenden Elternteil“ hätten ausgehen können. Nicht aber beim Amtsgericht Forchheim.

Die sich aus dem Beschluss an mehreren Stellen herauszulesende Argumentation des Vaters schien sich vorwiegend an den Begründungen insbesondere des 1. und 2. Senates des OLG Frankfurt zu orientieren, welche die Doppelresidenz mit teils abenteuerlichen Argumentationen ablehnten. Allein dies verdeutlicht, welchen negativen (oder auch positiven) Einfluss die Rechtsprechung nehmen kann. Tragen einige Senate des OLG Frankfurt und einige andere Gerichte zu einer Belastung der Kinder durch eine verfahrenstaktisch motivierte Eskalation des Konfliktes bei, so haben der BGH, das OLG Stuttgart, jetzt das AG Forchheim und viele weitere seit 2017 erheblich dazu beigetragen, dass das System „Streit als Strategie“ nicht mehr zum Erfolg führt – man es also auch gleich lassen kann. Damit folgen diese Gerichte wohl unstrittig dem Kindeswohlgedanken, der in solchen Fällen aufgrund der Folgewirkung ihrer Entscheidungen für weitere Gerichte weit über den eigenen Gerichtssaal hinaus Wirkung zeigt.

Auch darf vermutet werden, dass der entscheidende Richter / Richterin, sich in der Ausformulierung des Beschlusses auch für eine mögliche Beschwerde beim Oberlandesgericht absichern wollte. Der Umfang der Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Rechtsprechung, der hier betrieben wurde, geht über das übliche Maß einer amtsgerichtlichen Entscheidung weit hinaus. Positiv zu sehen ist auch die Darlegung, dass Abänderungsverfahren in Umgangsverfahren geringeren Maßstäben unterliegen als in Sorgerechtsverfahren. Dies ist auch für zahlreiche weitere Fälle eine wichtige Erkenntnis, stellt der §1696 BGB für viele Gerichte doch noch immer eine kaum überwindbare Hürde dar.

Allerdings weist auch dieser sehr umfangreiche Beschluss Punkte auf, die zu hinterfragen sind. So führt das Gericht einerseits aus, dass es auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet und ausreichend Grundlagen für eine eigene Entscheidung hat. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der gebotenen Beschleunigung in Kindschaftsverfahren zu begrüßen. Andererseits geben die Ausführungen im Beschluss Anlass zu der Frage, ob die Einschätzungen des Gerichtes auch einer sachverständigen Überprüfung standgehalten hätten.

Die recht milde Einschätzung des Gerichts zur Bindungstoleranz des Vaters lässt daran zumindest Zweifel aufkommen. Über Jahre ist er trotz begleitender Beratung noch immer in seiner durchgehend  negativen Sicht auf die Mutter vorhaftet, wie auch die weiteren Verfahrensbeteiligten berichteten. Auch seine neue Partnerin ist offensichtlich bereits hierin involviert worden. Es Bedarf nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, welches Bild der Mutter den Kindern im Haushalt des Vaters vermittelt wird. Deutliche Zweifel an der Bindungstoleranz des Vaters wären hier durchaus angebracht gewesen.

Es hilft dabei auch wenig, wenn das Gericht an mehreren Stellen vorbildlich die Wiedersprüche in den Argumentationen des Vaters im Beschluss darlegt und klarstellt, dass diese nicht haltbar sind (z.B. angebliche finanzielle Motivation der Mutter, die eher gegen ihn wirkt) oder eher auf ihn zutreffen (z.B. Thema Fremdbetreuung während der Arbeitszeit, die der Vater umfangreicher als die Mutter in Anspruch nimmt). Allein die Vielzahl der im Beschluss aufgeführten unberechtigten Vorwürfe hätte in die Bewertung des Gerichts zur Bindungstoleranz aber auch zur damit in Wechselwirkung stehenden Kooperationsbereitschaft und –fähigkeit führen müssen.

Gleiches gilt für die Hoffnung des Gerichtes, dass der Vater die Entscheidung des Gerichtes doch bis zur Rechtskraft des Beschlusses vorläufig akzeptieren werde. Die Beschwerde des Vaters beim OLG Bamberg auf Aussetzung der Wirksamkeit des Beschlusses (OLG Bamberg, 2 UF 90/20 vom 18.06.2020, https://openjur.de/u/2305221.html ) zeigt, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Hier wird wieder einmal deutlich, dass Gerichtsentscheidungen nicht auf Hoffnungen beruhen, sondern sich an Fakten orientieren sollten. Dem Beschluss ist mehr als deutlich zu entnehmen, dass seitens des Vaters bis zum Schluss auch nach mehreren Jahren der Beratung und Unterstützung keinerlei Einsicht erfolgte, welche Konsequenzen sein Handeln für seine Kinder hat und dass diese sich auch einen intensiveren Kontakt zur Mutter wünschen.

Kritisch beurteilen wir auch die Ausführungen zu der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern zur Umsetzung der Doppelresidenz. Sicherlich ist es hilfreich, wenn die Eltern wie im vorliegenden Fall über ausreichend finanzielle Mittel verfügen. An der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit darf sich aber nicht die Wahl des Betreuungsmodells orientieren, denn die Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist ein Grundrecht jedes Elternteils. Sollten die Eltern oder ein Elternteil nicht über die finanziellen Mittel zur Realisierung einer kindgerechten Umgangsregelung verfügen, so müssten diese Eltern entsprechende Unterstützung seitens der Sozialhilfeträger erhalten. So ist es im Sozialleistungsrecht seit langem anerkannt, dass zur Wahrnehmung des Umgangsrechts ein Anspruch auf eine größere Wohnung besteht und auch ein Mehrbedarf zur Versorgung der Kinder gewährt wird. So gut die Ausführungen im Beschluss auch gemeint gewesen sein mögen, so sollten diese nicht dazu führen, dass in anderen Verfahren versucht wird, wirtschaftlich weniger leistungsfähige Elternteile aus der Verantwortung für ihre Kinder zu drängen.

Deutlicher gewünscht hätten wir uns den Appell an den Vater, seine Verweigerungshaltung aufzugeben. Zwar ist dies unter Rz 91 als Appell an alle Beteiligten, dass diese sich gut mit dem geänderten Modell arrangieren mögen, angedeutet. Aus unserer Sicht ist dies aber in Anbetracht der dargelegten Umstände zu verhalten. Möglicherweise wollte das Gericht, wie auch an anderen Stellen zu vermuten ist, hier keine zu deutlichen Worte wählen, um keine Gewinner / Verlierer-Situation zu erzeugen. Auf der anderen Seite fehlt aber eine Aussicht darauf, welche Konsequenzen es haben wird, wenn insbesondere der Vater sein Verhalten nicht ändern wird.

Denn dann wäre die Doppelresidenz möglicherweise nur ein Zwischenschritt. Langfristig wäre es kaum zu rechtfertigen, wenn die Kinder beim Vater weiterhin in den Loyalitätskonflikt getrieben, ihr Verhältnis zur Mutter belastet und die Entwicklung der Kinder damit gefährdet werden würde. Die Gefahr einer langfristigen Entfremdung der Kinder von der Mutter wäre absehbar. Ohne Verhaltensänderung des Vaters würde dann wohl nur eine überwiegende Betreuung im Haushalt der Mutter den Kindern langfristig eine Entlastung ermöglichen und ihnen gute Entwicklungschancen bieten.

Eine solch klare Darlegung der Konsequenzen wäre wichtig gewesen, um dem Vater zu verdeutlichen, dass es so wie bisher nicht weitergeht. Es wäre auch ein Fingerzeig an eine mögliche Beschwerdeinstanz gewesen, welche Folgen eine Fortführung des bisherigen Verhaltens hätte. Dass diese Botschaft offensichtlich nicht beim Vater angekommen ist, beweist seine (abgewiesene) Beschwerde auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung beim OLG Bamberg. Wie das Hauptsacheverfahren in der Beschwerde ausging, ist bisher nicht bekannt.

Es bleibt daher die Frage im Raum, ob der Vater nun zur Einsicht kommt, oder das Gericht sich in absehbarer Zeit erneut mit dem Fall beschäftigen und über die Betreuung der Kinder entscheiden muss. Dann wäre die Doppelresidenz als Zwischenschritt zumindest ein Mittel gewesen, die Bindung der Kinder zur Mutter zu stabilisieren und sie intensiver als bisher in den Alltag der Kinder einzubinden und einen möglicherweise später erforderlichen Wechsel in ihren Haushalt zu ermöglichen.

Das Amtsgericht hat hier entschieden, dass es noch Hoffnung hat, dass die Eltern es aus eigener Kraft schaffen und der Zeitpunkt für einschneidendere Maßnahmen (noch) nicht gekommen ist. Es wäre allen Beteiligten zu wünschen, dass sich die Hoffnung des Gerichts erfüllt, auch wenn die Fakten hieran begründete Zweifel nähren.

 



Zuletzt geändert am 05.02.2021 um 07:02

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